Im Zentrum dieses Wandels steht ein Umdenken in Bezug auf Lieferketten: wie sie aufgebaut sind, wo sie sich befinden und wie widerstandsfähig sie gegenüber zukünftigen Schocks sind.
Für Investoren eröffnet diese Umstrukturierung neue Chancen im Bereich Industrieimmobilien und Energieinfrastruktur – zwei Sektoren, die von dem Streben nach Resilienz profitieren dürften.
Europas industrieller Aufschwung
Nach Jahrzehnten der Globalisierung findet in Europa ein Umdenken statt. Der Kontinent hat einen Weg der Reindustrialisierung eingeschlagen, mit dem Ziel, mehr Güter innerhalb seiner eigenen Grenzen zu produzieren und die Abhängigkeit von weit entfernten Lieferanten zu verringern.
Dieser Wandel ist nicht nur politisch, sondern auch strukturell. Die Covid-19-Pandemie, Engpässe in der Lieferkette und der Krieg in der Ukraine haben die Schwachstellen der Region offenbart. Als Reaktion darauf investieren Unternehmen und Regierungen in „Nearshoring“- und „Friend-Shoring“-Strategien, um sich den Zugang zu kritischen Ressourcen und Gütern zu sichern.
Die Zahlen sprechen für sich: Der Anteil der Unternehmen, die in „Nearshoring“ investieren, stieg von 42 % im Jahr 2024 auf 56 % im Jahr 2025. Große Unternehmen wie Microsoft, Volvo, Sanofi und Nestlé haben eine erhebliche Ausweitung ihrer Produktionskapazitäten in Europa angekündigt.
Unterdessen schreibt das Netto-Null-Industrie-Gesetz der Europäischen Union vor, dass bis 2030 40 % der jährlich eingesetzten Netto-Null-Technologien aus der heimischen Produktion stammen müssen – eine dramatische Veränderung angesichts der derzeitigen Dominanz Chinas in der Produktion von Solarmodulen.
Fünf Themen, die den Wandel vorantreiben
Fünf makroökonomische Kräfte beschleunigen den industriellen Wandel in Europa:
- Deglobalisierung: Unternehmen wenden sich von überregionalen Lieferketten ab, bei denen Kosten vor Robustheit standen.
- Protektionismus und Handelsspannungen: Strategische Industrien werden durch Zölle und Exportkontrollen abgeschirmt.
- Risiken in der globalen Lieferkette: Ereignisse wie Hafenschließungen und geopolitische Konflikte haben das Risikobewusstsein geschärft.
- Sicherheit und Verteidigung: Erhöhte Verteidigungsausgaben treiben die heimische Produktion von militärischer Ausrüstung voran.
- Automatisierung und Industrie 4.0: Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), Robotik und 3D-Druck machen die lokale Produktion rentabler.
Diese Kräfte verändern auch den Bedarf und die Anforderungen an Industrieimmobilien. Die Nachfrage nach Produktions- und Vertriebskapazitäten in Mittel- und Osteuropa sowie in den wiederbelebten westeuropäischen Wirtschaftszentren steigt.
Investoren suchen nach Möglichkeiten in verschiedenen Bereichen – von Schwerindustrie und Forschungs- und Entwicklungszentren bis hin zu städtischer Logistik und offenen Lagerflächen.
Energieinfrastruktur unerlässlich
Während Europa seine Fabriken umrüstet, steht auch die Energieinfrastruktur in der Region unter Druck. Im April dieses Jahres kam es in Spanien und Portugal zu einem großflächigen Stromausfall, der durch „Netzfrequenzschwankungen” ausgelöst wurde.
Da 70 % des iberischen Stromnetzes aus erneuerbaren Energien gespeist werden, führte das Fehlen der Rotationsträgheit, die normalerweise durch fossile Brennstoffturbinen bereitgestellt wird, zu einer Kettenreaktion von Ausfällen.
Dieses Ereignis verdeutlicht eine kritische Schwachstelle moderner Energiesysteme: die Herausforderung, die Netzstabilität in einem Umfeld mit hohem Anteil erneuerbarer Energien aufrechtzuerhalten. Es unterstreicht auch die dringende Notwendigkeit von Investitionen in die Modernisierung der Netze.
Technologische Lösungen für diese Herausforderungen sind bereits in der Entwicklung, darunter Hybridkraftwerke, Batterie-Energiespeichersysteme, netzbildende Wechselrichter, Übertragungsverbindungen und Smart-Grid-Software.
Über die Technologie hinaus gibt es weitere Faktoren, die Investitionen in das Stromnetz vorantreiben: die alternde Infrastruktur in den Industrieländern, der steigende Energiebedarf durch KI und Kühlanlagen, die Klimaresilienz und das Bestreben, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus dem Ausland zu verringern.
Wo liegen die Chancen?
Bei der Neugestaltung der Lieferketten geht es nicht nur um Logistik, sondern auch um den Wiederaufbau der physischen und digitalen Infrastruktur, die Produktion und Vertrieb unterstützt.
Im Bereich Industrieimmobilien schafft die Reindustrialisierung Europas Nachfrage nach:
- Standard- und Leichtindustrie: Für Produktion und Montage.
- Schwerindustrie: Für die Massenfertigung.
- F&E-Zentren: Für Innovation und Prototypenentwicklung.
- Stadt- und „Big Box”-Logistik: Für die Last-Mile- und Großraumdistribution.
Im Bereich der Energieinfrastruktur treibt die Notwendigkeit einer widerstandsfähigen Stromversorgung Investitionen in folgenden Bereichen voran:
- Fortschrittliche Speicher- und Wechselrichtertechnologien
- Flexible Erzeugungsanlagen
- Modernisierung der Übertragungsnetze
- Intelligente Netzplattformen
Diese Anlagen sind nicht nur für die Aufrechterhaltung des Betriebs unerlässlich, sondern stehen auch im Einklang mit Nachhaltigkeitszielen und Digitalisierungsagenden, was sie für langfristige Kapitalinvestitionen attraktiv macht.
Abschließende Gedanken
Da sich die Weltwirtschaft von Effizienz zu Resilienz wandelt, haben Investoren die einmalige Chance, am Wiederaufbau der Lieferketten für eine neue Ära mitzuwirken.
Ob es sich um Fabriken in Mitteleuropa oder um Netztechnologien zur Stabilisierung der Iberischen Halbinsel handelt, das Argument für Investitionen ist klar: Resilienz ist das neue Wachstum.
Dieser Wandel ist nicht ohne Herausforderungen – höhere kurzfristige Kosten, der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften und der Spagat zwischen offenem Handel und strategischer Autonomie.
Mit starker politischer Unterstützung und technologischer Innovation werden jedoch die Grundlagen für eine stabilere, unabhängigere und nachhaltigere wirtschaftliche Zukunft gelegt.