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InsightsEine Geschichte von zwei Umschuldungen
Was sagen Venezuela und der Libanon über das Umstrukturierungsrisiko bei Schwellenländeranleihen aus?
Autor
Kevin Daly
Investment Director, Emerging Market Debt
Leo Morawiecki
Associate Investment Specialist, Fixed Income, Aberdeen

Dauer: 7 Minuten
Datum: 24. Sept. 2025
Venezuela: Falken gegen Tauben
Kurz vor den Parlamentswahlen 2024 war ich in Caracas. Damals wurde dies weithin als „letzte Chance“ für das Regime bezeichnet.
Ein Jahr später hat Präsident Maduro seine Machtposition gefestigt. In Washington ist die US-Regierung in zwei Lager gespalten: die Tauben unter der Führung von Sonderbeauftragten Richard Grenell und die Falken unter der Führung von Außenminister Marco Rubio.
Das Tauziehen spielte sich größtenteils über den US-Ölkonzern Chevron ab. Seine Betriebslizenz wurde zunächst entzogen und dann wieder erteilt. Nach den aktuellen Bedingungen erhält die Maduro-Regierung keine direkten Lizenzgebühren oder Steuern – die Zahlungen erfolgen in Form von Rohöl oder Verdünnungsmitteln.
Vor den US-Wahlen 2024 war die Idee von Verhandlungen mit Maduro über eine Umschuldung fast undenkbar. Jetzt ist sie unter bestimmten Voraussetzungen eine Möglichkeit, wenn auch keine ausgemachte Sache. Die grundlegende Frage bleibt: Wie weit ist die Trump-Regierung bereit zu gehen, um die Demokratie in Venezuela voranzubringen? Bislang gibt es keine klare Antwort darauf.
Wir haben ein Sanierungsmodell für Venezuela entwickelt. Es geht von einem niedrigen Anfangskupon aus – ähnlich wie bei der Umschuldung Ecuadors nach der Zahlungsunfähigkeit im Jahr 2020 – und von einem fragilen wirtschaftlichen Umfeld mit begrenzter Schuldendienstfähigkeit. Venezuela verfügt über die größten Ölreserven der Welt, und jede Umschuldungsvereinbarung wird wahrscheinlich einen Öl-Garantieanspruch für kommerzielle Anleihegläubiger beinhalten.
Höhere Kupons oder eine Umsatzbeteiligung hängen von der Fähigkeit Venezuelas ab, die Ölproduktion zu steigern. Dies wird Zeit brauchen. Der Sektor benötigt erhebliche Investitionen, und es gibt keinen klaren Zeitplan für die Rückkehr zum früheren Höchststand von drei Millionen Barrel pro Tag (bpd). Selbst eine Steigerung der Produktion um 50 % gegenüber den derzeitigen einer Million bpd würde dringend benötigtes ausländisches Kapital freisetzen.
In den letzten sechs Jahren wurde ein Großteil des von Venezuela an China verkauften Öls mit einem Abschlag von 20 % gegenüber dem Korbpreis der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) gehandelt (siehe Abbildung 1 unten). Eine Rückkehr in die internationale Gemeinschaft könnte zu einer Normalisierung der Preise führen und die fiskalischen Aussichten des Landes neu gestalten.
Abbildung 1: Venezuelas rabattierter Ölpreis im Vergleich zum Brent-Rohölpreis
Seit dem Zahlungsausfall im Jahr 2017 hat Venezuela nur wenige Wirtschaftsdaten veröffentlicht, was Prognosen erschwert. Auf der Grundlage unserer Analysen und Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) schätzen wir, dass ein nominaler Schuldenschnitt von mindestens 50 % erforderlich wäre, um die Schuldenquote auf 80 % des Bruttoinlandsprodukts zu senken.
Der IWF wird sich bei der Beurteilung der Tragfähigkeit jedoch wahrscheinlich stärker auf die Schuldenquote und den Schuldendienst im Verhältnis zum Einkommen konzentrieren. Das bedeutet, dass die Ölproduktion und die Ölpreise entscheidend für die Höhe des Schuldenschnitts und des Kupons für neue Schulden sein werden.
Eine noch offene Frage ist, ob PDVSA, die staatliche Ölgesellschaft Venezuelas, bei einer Umstrukturierung gleichberechtigt mit dem Staat behandelt würde. PDVSA ist das Alter Ego Venezuelas – und wir gehen davon aus, dass ihre Schulden und überfälligen Zinsen gleichberechtigt mit denen des Staates behandelt werden. Das US-Berufungsgericht unterstützt diese Ansicht.
Unsere Positionierung
Wir sind in Venezuela übergewichtet, wobei sich unser Engagement fast gleichmäßig auf Staatsanleihen und PDVSA-Anleihen verteilt. Trotz stark gefallener Preise gehört Venezuela in diesem Jahr zu den leistungsstärksten Schwellenländeranleihen (siehe Abbildung 2). Wenn eine Umstrukturierung der Eurobonds vorangetrieben wird – und ein Öl-Garantieanspruch beinhaltet –, könnte der Rückzahlungswert im Bereich von 30 bis 45 Cent liegen.
Abbildung 2: Anleihekurs Venezuelas
Libanon: Hoffnung aus den Trümmern?
Von Bürgerkriegen über den Beinahe-Zusammenbruch der Wirtschaft bis hin zu Explosionen im Hafen – der Libanon ist kein Unbekannter, wenn es um Krisen geht. Seine Schulden, einschließlich aufgelaufener Zinsen, werden auf über 40 Milliarden US-Dollar geschätzt (siehe Abbildung 3 unten für die Netto-Devisenposition).
Vier große Hindernisse stehen einer Umschuldung im Weg: Bankgeheimnisgesetze, Rahmenbedingungen für die Abwicklung von Banken, Entwaffnung nichtstaatlicher Akteure und Verhandlungen über Eurobonds. Erfreulicherweise wächst unter den politischen Entscheidungsträgern die Erkenntnis, diese Probleme dringlich anzugehen.
Der jüngste Krieg mit Israel verursachte Schäden in Höhe von schätzungsweise 14 Milliarden US-Dollar und brachte das Land erneut an den Rand des Abgrunds. Aber es gibt auch einen Silberstreif am Horizont. Der Schlag gegen die militärischen Fähigkeiten der Hisbollah könnte das politische Gleichgewicht verschieben und möglicherweise Raum für Reformen und einen Weg zur finanziellen Stabilität schaffen.
Abbildung 3: Netto-Devisenposition in Mrd. USD (August 2025)
Libanon: drei Herausforderungen
Bankgeheimnisgesetz
Nach fünf Jahren und zahlreichen gescheiterten Versuchen hat das libanesische Parlament endlich ein Bankgeheimnisgesetz verabschiedet, das den Anforderungen des IWF entspricht. Die Gesetzgebung, die zuvor Kundennamen und Einlagenbeträge schützte, war lange Zeit ein Knackpunkt in den Verhandlungen über ein Rettungspaket. Diese Hürde ist nun genommen.
Gesetz zur Bankenabwicklung
Der Libanon hat im April 2025 ein Gesetz zur Bankenabwicklung verabschiedet, das jedoch vom IWF abgelehnt wurde. Das Gesetz legt fest, wie die Behörden mit insolventen Banken umgehen sollen, kann jedoch erst umgesetzt werden, wenn ein separates Gesetz zur „Finanzierungslücke” verabschiedet ist. Dieses Gesetz, das noch aussteht, wird festlegen, wie die Verluste zwischen den Banken und dem Staat aufgeteilt werden.
Die Meinungen über das Ergebnis gehen auseinander. Der Gouverneur der Zentralbank möchte, dass Einleger – insbesondere diejenigen mit mehr als 100.000 US-Dollar – Vorrang vor Gläubigern haben, darunter auch Eurobond-Inhaber wie wir.
Der Zeitpunkt ist entscheidend. Es dauerte fünf Jahre, bis ein Bankgeheimnisgesetz verabschiedet wurde. Wird das Gesetz zur Finanzlücke ebenso lange dauern? Wir glauben nicht. Präsident Joseph Auon und Premierminister Nawaf Salem sind reformorientiert und politisch unabhängig. Der Libanon steht außerdem vor dringenden Wiederaufbaumaßnahmen, hat nur begrenzten finanzpolitischen Spielraum und keine wirkliche Kreditaufnahmekapazität, was allesamt eine schnelle Lösung erfordert.
Aber es gibt weiterhin Hindernisse. Eine mächtige Lobby von Politikern mit engen Verbindungen zum Bankensektor – und Einfluss auf die Medien – blockiert weiterhin den Fortschritt.
Hisbollah – geschwächt, aber immer noch fest verankert
Das komplexeste Problem ist die Hisbollah. Die von Iran unterstützte Miliz wurde durch den Konflikt mit Israel im Jahr 2024 und den Zusammenbruch ihrer Versorgungsroute durch Syrien nach dem Sturz Assads geschwächt. Aber die Hisbollah bleibt eine politische Kraft. Die libanesische Verfassung schreibt vor, dass der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim sein muss.
Die Hisbollah dominiert diese Rolle.
All das könnte sich ändern. Ich habe während des Krieges 2024 und erneut im Januar dieses Jahres Zeit im Libanon verbracht. Ein Journalist beschrieb die Hisbollah kürzlich als „einen Autounfall am Straßenrand: völlig zerstört, aber das Radio spielt weiter“. Das ist eine treffende Beschreibung der aktuellen Lage der Gruppe – viel Lärm, aber wenig Einfluss.
Umschuldung von Eurobond-Schulden
Wir sind Mitglied des Lenkungsausschusses, der in den letzten drei Monaten regelmäßig zusammengetreten ist. Die Fortschritte sind jedoch aufgrund des begrenzten Engagements der Regierung und Verzögerungen bei der Verabschiedung wichtiger Reformen ins Stocken geraten. Der Gesetzentwurf zur „Finanzlücke” – eine Voraussetzung für die Unterstützung durch den IWF – bleibt der entscheidende nächste Schritt. Sobald er verabschiedet ist, erwarten wir, dass die Verhandlungen an Dynamik gewinnen werden.
Unsere Positionierung
Im Gegensatz zu Venezuela verfügt der Libanon nicht über natürliche Ressourcen, was bedeutet, dass die letztendlichen Rückzahlungswerte seiner Anleihen wahrscheinlich niedriger ausfallen werden. Wir haben Anfang dieses Jahres nach dem fragilen Waffenstillstandsabkommen mit Israel Ende 2024 eine ähnlich große Position an Libanon-Anleihen wie für Venezuela in unseren Fonds aufgebaut.
Unsere ursprüngliche Schätzung für den Rückzahlungswert lag bei 25 Cent. Die Aussichten auf ein Wirtschaftswachstum und die moderaten Kosten für Bankeinlagen könnten den Rückzahlungswert jedoch von derzeit 23 Cent auf Werte zwischen 30 und 35 Cent steigern.